Die Mobilitätswende ist einer der wichtigsten Bausteine bei der Bekämpfung des Klimawandels. Die Abkehr vom Modell des motorisierten Individualverkehrs in Privatbesitz ist hierbei auf lange Sicht unumgänglich. Selbst ein Übergang zu 100% elektrisch angetriebenen Fahrzeugen kann nicht als nachhaltig betrachtet werden, wenn jede Privatperson 1,x davon besitzt, da auch hier bei Herstellung und Nutzung Ressourcen verbraucht werden, die in dieser Menge nicht zur Verfügung stehen.
Esslingen mit seiner wunderschönen historischen Altstadt ist predestiniert dazu, Vorzeigeprojekte umzusetzen und anderen Städten und Gemeinden ein Vorbild zu sein. Hiefür möchte ich gern einen kleinen Ideenkatalog vorstellen, um diesem Ziel einen Schritt näher zu kommen.
Die “autofreie” Stadt
Zunächst ein Disclaimer: Städte, die zu 100% frei von motorisiertem Verkehr sind, wird es nicht geben. Der Begriff “autofreie Stadt” kommt mit einem Sternchen, d.h. Ausnahmen wird es immer geben. Natürlich ist klar, dass z.B. ein Krankenwagen immer das Recht hat, dorthin zu fahren, wo er gebraucht wird. “Autofrei” bedeutet im weitesten Sinne “frei von privaten Autos”, wobei es auch hier Einschränkungen gibt. Einfahrberechtigt in autofreie Zonen sind etwa:
– Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste
– Dienstleister wie Handwerker, Zulieferer von Geschäften, Sozial-/Pflegedienste, Liefer- und Paketdienste
– Anwohner mit einem Anwohnerparkausweis
Hierbei ist anzumerken, dass diese Parkausweise entsprechend bepreist sein müssen, um Anreize zu schaffen, das eigene Auto zugunsten einer Alternative abzuschaffen. Das Monatsticket für den ÖPNV darf nicht teurer sein als ein Parkplatz vor der Haustür, im Gegenteil. Selbst 1€ pro Tag bzw. 365€ pro Jahr ist eigentlich noch viel zu günstig dafür, dass man mehrere Quadratmeter des wertvollen öffentlichen Raumes dauerhaft blockieren darf.
Weiter muss es privaten PKW mit begründetem Interesse möglich sein, in diese Zonen einzufahren, etwa für Umzüge. Die Berechtigung hierfür muss bei der Stadt beantragt und genehmigt werden und darf nur für die Zeit des berechtigten Anliegens gelten. Die Kosten müssen von den Privatpersonen getragen werden.
Parkraum in autofreien Zonen und dem Rest der Stadt
Innerhalb der autofreien Zonen darf von Privatpersonen ausschließlich auf ausgewiesenen Parkflächen geparkt werden. Das Abstellen außerhalb ausgewiesener Flächen wird mit “Parken auf dem Gehweg” gleichgesetzt. Die oben genannten Dienstleister und Rettungskräfte dürfen ihre Fahrzeuge dort abstellen, wo sie gebraucht werden, solange sie gebraucht werden. Durch die Reduktion des Autoverkehrs in diesen Zonen wird es möglich sein, einen Großteil der bestehenden Parkflächen zurückzubauen und anderen Nutzungsarten zuzuführen. Dies können etwa Grünflächen, Verweilmöglichkeiten oder Aktionsflächen sein.
Außerhalb der autofreien Zonen wird jede Parkfläche kostenpflichtig und angemessen bepreist. In Fahrradzonen/-straßen muss der Parkraum neu bewertet werden. Ist es beispielsweise in der Hindenburgstraße Fahrradfahren auch dann möglich, nebeneinander zu fahren, wenn ihnen ein Auto entgegenkommt? Wenn nicht, müssen auf einer Seite der Straße Parkplätze entfallen.
Kontrollen seitens des Ordungsamtes müssen verstärkt und Falschparken entnormalisiert werden. Egal, wo und wann man in Esslingen unterwegs ist, die Chance, dass einem kein Falschparker begegnet ist relativ gering. Die lässt sich ganz einfach mit einer Risikokalkulation begründen: Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden mal Höhe der Strafe. Es ist langfristig deutlich günstiger, immer im Halteverbot zu parken als sich jedes Mal ein Parkticket zu lösen, da man nur sehr selten dabei erwischt wird. Das muss sich ändern. Da die Ordnungsämter bestimmt nicht über die Ressourcen verfügen, unbegrenzt Personal einzustellen, könnten z.B. Möglichkeiten für BürgerInnen eingerichtet werden, die Stadt bei der Parkraumkontrolle zu unterstützen, etwa in Form eines niedrigschwelligen Meldeportals für Falschparker.
Alternativen bereitstellen
Natürlich kann eine solche Mammutaufgabe nicht übers Knie gebrochen werden, und wann immer Vorschläge wie der einer autofreien Stadt gemacht werden, kann man sich sicher sein, dass sich einige wütende Automobilisten in den Kommentaren die Finger wundtippen. In aller Regel werden dann Minderheiten (an die sonst, sind wir ehrlich, nie auch nur ein Gedanke verschwendet wird) vorgeschoben, um den eigenen Lebensstil zu rechtfertigen. Was ist mit der Oma und dem Gehbehinderten, wenn sie nicht mehr vor den Supermarkt fahren können? Die Antwort ist, an diese Gruppen, an alle Menschengruppen muss bei der Umsetzung eines solchen Projekts gedacht werden. Was nicht sein kann, ist, dass die Existenz solcher Gruppen als Begründung genommen wird, ein offensichtliches Problem gar nicht erst anzugehen. Und in Wahrheit ist doch das Gegenteil der Fall: die autogerechte (Innen)stadt macht es gerade diesen Gruppen schwer, sich dort zu bewegen. Die mobilitätseingeschränkte Oma muss weite Umwege in Kauf nehmen, weil die breiten Straßen den Autos vorbehalten sind und man eine Ampel oder einen Zebrastreifen suchen muss, um die Fahrbahn unbeschadet zu übequeren. RollstuhlfahrerInnen müssen auf die Straße ausweichen, weil nicht genug gegen Gehwegparker getan wird oder Gehwege von vornherein zu schmal sind. Je weniger Platz dem Auto zugesprochen wird, umso mehr kann diesen Gruppen gesellschaftliche Teilhabe garantiert werden. Wenn die Oma nicht mehr zum Superkarkt gehen kann, dann kann man sie mit einem öffentlichen Kleinstfahrzeug dorthin fahren oder ihr die Einkäufe gleich nach Hause liefern. Vielleicht kann man statt Parkplätzen Bänke aufstellen, auf denen sich mobilitätseingeschränkte Menschen ein paar Minuten ausruhen können. Wer wirklich an Inklusion interessiert ist, findet auch jetzt schon viele Möglichkeiten und Ideen, diese Wirklichkeit werden zu lassen.
Die Zukunft der Innenstadt ist autofrei, und Esslingen kann und sollte anderen Städten vormachen, wie die Transformation dorthin funktionieren kann. Im ersten Schritt muss der Bereich innerhalb des Altstadtrings so weit wie möglich vom Auto befreit werden, danach sollte geprüft werden, wo in den Stadtteilen außerhalb der Innenstadt weitere autofreie Zonen eingerichtet werden können.
- Die Übermacht des Automobils in der Stadt
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